Dies ist der Brief, den wir dem Publikum, das uns darum gebeten hat, per Post gesandt haben. Wenn auch Sie mit der nächsten Sendung unseren traditionellen Informationsbrief auf dem Postweg erhalten oder wenn Sie ganz einfach über unsere Aktualitäten auf dem Laufenden gehalten werden möchten, auch per Email, so können Sie diesem Link folgen und das Formular ausfüllen.
Daß dir halte der Mann, was er, als Knabe, gelobt.
Hölderlin
Paris, den 17. Februar 2014
Liebe Freunde, alte, neue und künftige, aus Paris, von anderswo und überall,
Viel zu viel Zeit ist seit unserem letzten Brief vom 15. Oktober 2012 vergangen! Wir hatten Sie darin auf diese Zeit des “Trockendocks” oder der “Brache” vorbereitet, die notwendig, aber trotz allem wohltuend für die Truppe war und all jenen zugute kam, die sie beherbergt oder die sie in dieser Periode hat empfangen können.
All dies ist seit diesem so alten Brief geschehen:
1) Von 2010 bis Ende 2012 sind wir gereist, nach Lyon, Nantes, Athen, São Paulo, Rio de Janeiro, Porto Alegre, Santiago de Chile, Wien, Edinburgh und Taiwan, zehnte und letzte Etappe einer sehr schönen Tournee, wo wir im Dezember 2012 unsere 306. und letzte Vorstellung der Naufragés du Fol Espoir (Schiffbruch mit Verrückter Hoffnung) gegeben haben.
2) Wir haben den Schnitt von Bild und Ton, die Untertitelung, die Farb- und Lichtbestimmung und die Mischung der filmischen Adaption der Naufragés beendet. Unser Film ist im letzten Juli bereits auf dem Filmfest München gezeigt worden, im November auf der Mostra de São Paulo und vor ein paar Wochen beim Fipa in Biarritz. Und vor allem haben die treuen Subskribenten dieses langen Abenteuers auf großer Fahrt endlich ihre Mäzenen-DVD erhalten... mit sehr viel Verspätung. Wir wissen, daß sie uns vergeben haben, aber wir möchten ihnen hier noch einmal all unseren Dank aussprechen.
Unser Film erscheint aber auch als DVD "für alle" und wird ab diesem Frühjahr überall erhältlich sein (und die Ungeduldigen können ihn bereits bei uns im Theater finden), im September wird er dann auf ARTE gezeigt werden und ein paar Monate später auf France 3.
3) Wir haben Theaterabenteuer beherbergt und aufgenommen, manche erst ganz neu dabei, andere von ganz ausgeprägtem Stil und Sprache, immer aber fröhlich, mutig, ehrlich und wahrhaftig. Oft haben Sie uns die Freundschaft und Ehre Ihres Vertrauens erwiesen, mit dem Sie uns bei dieser Gastfreundschaft begleiteten, die zu den Pflichten des Théâtre du Soleil, zu seinen Überzeugungen und seinen Freuden gehört.
4) Wir haben zwei große Träume von Übermittlung und Weitergabe verwirklicht :
- die in Battambang im Dezember 2007 begonnene Inszenierung in Khmer-Sprache des Stücks von Hélène Cixous, L’Histoire terrible mais inachevée de Norodom Sihanouk, roi du Cambodge (Die schreckliche, aber unvollendete Geschichte von Norodom Sihanouk, König von Kambodscha), unter der Regie von Georges Bigot und Delphine Cottu, mit den dreißig jungen kambodschanischen Schauspielern von Phare Ponleu Selpak;
- die Weiterführung der Kollektivarbeit des Théâtre Aftaab unter der Leitung von Hélène Cinque, heute mit einer neuen Inszenierung: La Ronde de nuit (Die Nachtwache), mit den afghanischen Schauspielern, denen wir, erinnern Sie sich, 2005 in Kabul begegnet sind. Das Théâtre Aftaab, unser Verwandter und kleiner Bruder, ist zur Zeit mit La Ronde de nuit auf Tournee. Nach dem Channel in Calais, wird es vom 26. bis 29. März im Théâtre
du Nord in Lille spielen, vom 14. bis 24. Mai im Piccolo Teatro in Mailand, vom 19. bis 22. Juni im Teatre Lliure in Barcelona, und im September bei unseren Freunden der Francophonies en Limousin in Limoges.
5) Schauen Sie sich den beigefügten Flyer des Théâtre du Voyageur gut an, und Sie werden sehen, daß es weitergeht ...
Und dann, und dann, unsere Zukunft. Ja, unserer gemeinsame Zukunft, die des Théâtre du Soleil mit seinem Publikum:
Am 29. Mai 2014 wird es fünzig Jahre her sein, daß die Arbeiterproduktionsgenossenschaft “Théâtre du Soleil” gegründet worden ist. Es war am 29. Mai 1964.
Darum wollen wir an diesem Tag das Jubiläumsjahr unserer ersten fünfzig Jahre eröffnen und das erste der kommenden fünfzig Jahre feiern!
Bald sagen wir Ihnen mehr darüber, doch Sie sollen bereits wissen, daß wir große Festtage mit Feier und Tanz im Juli vorbereiten, und im September, bevor auch wir, so hoffen wir, auf die Bühne zurückkehren: 1789, in restaurierter Kopie im Kino (!) und die Rückkehr von Wu Hsing-Kuo und des Contemporary Legend Theatre aus Taiwan auf unsere Bühne.
Und beginnen werden wir diese Feier mit der Kreation unseres
neuen Stücks
Macbeth
von
William Shakespeare
Meine Damen und Herren, liebes Publikum (Trommelwirbel). Kommen Sie und sehen Sie einen Krimi mit einem atemlosen Rhythmus. Ein Tauchgang in den geistigen Dschungel eines Mannes, der weit grimmiger wütet als ein wildes Tier. (Trommelwirbel). Ein Mann, der dem Denken mißtraut, der die gefährlichsten Kräfte anruft und herausfordert (Trommelwirbel). Und dessen bösartige Begierde und Gefräßigkeit selbst die heilige Ordnung der Natur verstören und beschmutzen. Ein Mann, der fähig ist, Worte zu sagen wie die folgenden (Trommelwirbel) :
Es ist mir gleich, wie ihr zu euren Antworten kommt
........................ ich beschwöre euch, antwortet mir.
Mögt ihr den Sturm entfesseln, ihn gegen Kirchen kämpfen lassen
Mögen die schäumenden Wogen alle
Schiffahrt in die Irre leiten und verschlingen
Mag reifes Korn sich legen und Wälder umwehn
Mögen Schlösser auf die Köpfe ihrer Hüter stürzen
Mögen Pyramiden und Paläste ihre Häupter beugen bis zum Grund
Und müßte selbst der reiche Saatschatz der Natur
Umstürzen und alles für immer durcheinanderfallen
Bis die Zerstörung selbst daran erkrankt
Antwortet auf das, was ich euch frage.
Dies ist, meine Damen und Herren, die entsetzliche Kostprobe von einem Menschen, den unser nächstes Stück vor Ihren verblüfften Sinnen enthüllen wird (Trommelwirbel).
Mit der Inszenierung von Macbeth soll keine passive apokalyptische Feststellung gemacht werden. Die Enthüllung ist bereits ein Kampf, wir werden die Geduld, die Kraft, die Demut, den Mut brauchen, um zu suchen, zu verstehen, das Böse auf die Theaterbühne zu bringen, in Musik, in Musik, in Rhythmus, in Schauspiel. Wir werden die Figur den Zuschauern enthüllen müssen wie man einen verdorbenen Fisch seziert... So wie Molière Tartuffe auf die Bühne bringt, er schreibt Tartuffe, damit es das künftig nicht mehr gibt, und in diesem Stück geht er tatsächlich, glaube ich, in seiner Reflexion über das Böse am weitesten. Diese Dinge zu zeigen, heißt bereits sie zu verändern. Wer sie verbirgt, weigert sich zu sehen, wie sie sich verändern.
Soviel könnten wir Ihnen sagen. Aber vielleicht brauchen Sie das überhaupt nicht.
Kurzum:
Die Premiere ist für Mittwoch, den 23. April vorgesehen!